Dienstag, 5. März 2013

"Haus Wenzel" im Stadtmagazin "InHerne"


Das von der Stadt Herne in Zusammenarbeit mit WAZ herausgegebene Stadtmagazin "inHerne" brachte in der Februar-Ausgabe 2013 einen schönen Artikel über die Sodinger Traditionskneipe "Haus Wenzel", in der das CV Bochum (vorm. Mittleres Ruhrgebiet) jeweils im Frühjahr sein alljährliches Bartheringsessen veranstaltet. Wir bringen hier den Artikel mit Genehmigung der Stadt Herne. Eine pdf-Datei der kompletten Ausgabe finden Sie hier.


Von Helmut Berger, Bierwärmern 
und Bratheringen

„Haus Wenzel“ in Sodingen ist über 100 Jahre alt und trotzt mit dem Flair der alten Zeit noch immer dem Kneipensterben

Man tritt durch die Eingangstür und ist irgendwo bei 1980. Wie in einer Zeitmaschine. Mitten hinein in das Ambiente aus massiver Eiche, gusseisernen Metallverzierungen, klassischer Holzvertäfelung, bleiverglasten Oberlichtern und kapitalen Hirschgeweihen. Gründerzeit-Opulenz und Jugendstil goes Gelsenkirchener Barock. „Tach, meine Herren! Soll es denn auch ein Pilsken sein?“, fragt Manfred Wenzel ganz ungerührt. Stoisch sitzt er hinter seiner Theke, wie ein Wirt eben hinter einer Theke sitzen muss: auf einem Barhocker, direkt neben der Eingangstür, alles im Blick, alles im Griff. Vom Knobelbecher bis zum Bierdeckel.

In dem eindrucksvollen wilhelminischen Bau an der Händelstraße, Ecke Saarstraße, wurde 1910 die „Restauration Joh. Ropertz“ eröffnet – gutbürgerlich mit Schankraum, Kegelbahn und Sitzungszimmer. Im kleinen Saal trafen sich zwei Jahre später, am 14. September 1912, vierzig wild entschlossene junge Männer, die unbedingt dem Fußballspiel frönen wollten, und gründeten den SV Sodingen. Zuerst war die Kneipe, dann der Fußballverein: nicht untypisch für die Entstehungsgeschichte vieler Klubs. „Wir legen viel Wert auf unsere Tradition und sind eine authentische Kneipe mit ihrem altem Inventar, dem obligatorischen Stammtisch und dem Frühschoppen am Sonntag“, erklärt Helga Wenzel. Umtriebig hilft sie ihrem Mann an der Theke und betreibt die Küche des Hauses.

Die Slow Food - Gruppe „Mittleres Ruhrgebiet“ adelt ihre hausgemachten Bratheringe mit einer jährlichen Wallfahrt nach Sodingen. „Damit gehören wir fast zum Kulturerbe des Reviers“, schmunzelt Helga Wenzel.

Vorzapfen „nach der Uhr“

Aber das Hauptgeschäft mit Bier und Schnaps ist schwer geworden. Die heilige Dreifaltigkeit von Pütt, Kolonie und Kneipe ist längst passé und von „Monscheni“ nicht einmal ein Fördergerüst geblieben. Die alte Kegelbahn im Keller ist durch Bergschäden praktisch lahmgelegt.

Manchmal überkommt Manfred Wenzel die gastronomische Wehmut: „Wenn der Pütt früher Schicht hatte, standen die Kumpels hier in Dreierreihen an der Theke. Da konnte man ohne weiteres nach der Uhr vorzapfen.“ Generationen von Bergleuten...
(zum Weiterlesen bitte auf "Weitere Informationen klicken)
...haben hier ihr Schickermoos gelassen und mit Pils und Weizen den Kohlenstaub die Kehle heruntergespült. Auch die Unikate des Stadtteils verkehrten hier. Wie der „schöne Willi“ und Opa Lemke. Letzterer wurde voreilig für tot erklärt, weil er nicht, wie jeden Tag sonst, pünktlich an der Theke stand. Als er dann verspätet eintraf, starrten ihn die Gäste an wie ein Gespenst. Seine Frau war angeblich eine Gräfin.

1978 wurde das Kleinod sogar zum Film-Set. Die Ufa drehte das „Das fünfte Gebot“, eine Raubmörderballade, die während der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre im Ruhrgebiet spielt. In der Hauptrolle: der damalige Schönling Helmut Berger. Der Zeit entsprechend wurden auch Szenen mit Männern in SA-Montur gedreht. In einer Pause vertraten sich die Komparsen in ihren braunen Uniformen auf der Saarstraße die Füße und qualmten eine Zigarette. Der Inhaber einer nahe liegenden Metzgerei sah sie und rief entsetzt die Polizei an: „Hilfe! Die SA marschiert wieder!“

Wenige Minuten später traf ein Peterwagen ein. „Am Ende gab es viele verdutzte Gesichter“, lacht Manfred Wenzel.

„Ein Wunder, dass es uns noch gibt“

Als soziale Kontaktbörse des Stadtteils fungiert die Kneipe bis heute: Der SVS ist in seinem Gründungslokal immer noch zu Hause, ebenso der Gesangverein MGV Sodingen oder der Schützenverein St. Hubertus. Über vierzig Jahre Gastronomie haben die Eheleute auf dem Buckel und sind vermutlich die ältesten angestammten Wirte in Herne. „Eigentlich ist es ein Wunder, dass es uns überhaupt noch gibt. Die meisten Kneipen sind doch längst verschwunden“, sagt Helga Wenzel.

Waren 1970 in den Adressbüchern für Herne 172 und für Wanne-Eickel 231 Gaststätten verzeichnet, 1984 noch 155 und 164, so sind es heute zusammen ohne Imbisse, Pizzerien und reine Restaurants in der Großstadt Herne gerade noch 80. Ohne Zweifel ist „Haus Wenzel“ mit seinen überbordenden 478 qm Betriebsfläche in die Jahre gekommen. Manfred Wenzel sehnt sich längst nach der anderen Seite der Theke und dem wohl verdienten Ruhestand: „Ich bin mittlerweile 75 Jahre alt und würde lieber heute als morgen aufhören. Aber finden sie mal einen Nachfolger, der diese Liebhaberei weiter führt.“ Am Durchgang hängen einige alte Bilder an der Wand. Schwarzweiß Aufnahmen von Bergleuten unter Tage und diverse Fußballfotos. Eins davon zeigt eine Fußballmannschaft und ist mit „SV Sodingen – Meister der Bezirksklasse 1980/81“ überschrieben.

Wie gesagt: wie in einer Zeitmaschine.

Text: Ralf Piorr

Fotos: Thomas Schmidt, Privat



Texte zu den Fotos:

„Ich laufe immer weg, wenn Fotos gemacht werden. Außer bei Helmut Berger. Da habe ich still gehalten. Aber da konnte man auch nicht anders, denn das war doch so ein schöner Mann.“ Helga Wenzel und der berühmte Schauspieler während einer Drehpause (1978) und die Widmung Bergers im Gästebuch des Hauses.

Ohne Konservierungsstoffe und eingelegt in einer Marinade (nach Geheimrezept): die berühmten süß-sauren Bratheringe mit Zwiebeln und Bratkartoffeln.

Ein Relikt aus alter Zeit: Bierwärmer in einem Pils.

Genau unter dem Jugendstil-Oberlicht im Gesellschaftsraum luden die Schützen ihre Gewehre. Mancher Schuss ging, wie die Einschusslöcher zeigen, offensichtlich nach oben los.

An der Theke wird “geschockt”. „Natürlich ohne Jule”, wie Manfred Wenzel betont.



Inherne - Ausgabe der Stadt Herne Februar 2013
häuser menschen geschichten TEIL 3:
Die Gaststätte „Haus Wenzel“ an der Händelstraße, Ecke Saarstraße, in Sodingen.
Ausgabe1· Februar 2013



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen